Jena. (tlz) Am heutigen Sonnabend wird in Jena die
15. Thüringer Jazzmeile eröffnet: Mit einer szenisch-musikalischen
Performance erinnert der Jazz-Musiker und Komponist Frieder W. Bergner an
die große musikalische Vergangenheit des Landes und stellt dieser reichen
Tradition die Vielfalt der heutigen Thüringer Jazz-Szene gegenüber. Dazu
hat er sich Weggefährten eingeladen. Bis Ende November stehen bei der
Jubiläums-Jazzmeile mehr als 100 Konzerte in 20 Thüringer Städten auf dem
Programm - von Bigband-Swing über Solo-Gitarren bis Elektro-Jazz (www.
jazzmeile.org). Wir sprachen mit Frieder W. Bergner über den Auftakt.
Herr Bergner, spielen Sie zur Jazzmeilen-Eröffnung auf der Tuba?
Nein. Ich spiele ausschließlich auf der Posaune und singe ein Stück.
Das ist vielleicht etwas ungewohnt ...
Sie waren doch mal Thüringer Sängerknabe.
Das stimmt.
Warum sind Sie ins Posaunenfach gewechselt?
Das war mehr oder weniger Zufall. Als Sängerknabe hatte ich auch
Klavierunterricht bei einer Musikpädagogin und musste lauter Stücke
spielen, die mir nicht gefallen haben. Die erste Jazz-Begeisterung kam
dann mit fünfzehn, sechzehn. Auf der Oberschule hatte der Musiklehrer ein
Blasorchester, und ich wollte gern Saxophon spielen. Aber die hatten schon
genug Saxophone und brauchten eine Posaune. Da habe ich dann beim 1.
Posaunisten der heutigen Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt Stunden genommen
und später an der Dresdner Musikhochschule Posaune und Jazz studiert.
Kann man auf der Posaune auch Bach spielen?
Ja, aber das machen Silke Gonska und ich schon in einem anderen
Programm. Da spiele ich ein Stück aus dem Weihnachtsoratorium und sie
singt.
Zurück zur Jazzmeile: Sie eröffnen sicher nicht alleine.
Nein. Das wäre ja auch kontraproduktiv im Sinne des Themas
"Weggefährten". Die Weggefährten sind in diesem Falle - ich fang´ mal mit
der ältesten Generation an - zwei große, alte Herren der Rezitation und
der Pantomime: Orge Zurawski und Harald Seime. Seime ist zwar kein Jazzer,
aber ein Weggefährte des Jazz schon seit den 50er Jahren. Ich selbst habe
ihn noch als Jugendlicher im Saalfelder Hof erlebt, wo er mit den Jenaer
Oldtimers tolle Pantomime zu Jazzklängen gemacht hat. Es folgt die nächste
Generation, zu der auch ich mich ein bisschen zähle: Wolfram Dix, ein
Leipziger Schlagzeuger, mit dem ich seit über 25 Jahren musikalisch eng
verbunden bin. Dann kommen Matthias Bätzel und Falk Zenker. Bätzel ist
inzwischen einer der versiertesten Jazzpianisten Thüringens, ständiger
Begleiter von Manfred Krug. Der Gitarrist Zenker hat seinerzeit bei mir an
der Weimarer Hochschule studiert und ist erst nach einem abgeschlossenen
klassischen Gitarrenstudium Jazz- und improvisierender Gitarrist geworden.
Der Jüngste ist der ausgezeichnete Bassist Matthias Eichhorn.
Musizieren bei der Performance alle zusammen?
Die meiste Zeit, ja. Ich habe das Stück aber so konzipiert, dass jeder
Musiker in einem Teilstück ein Solo gestalten kann.
Wie darf man sich diese Performance vorstellen? Klingen da von Bach bis
Schütz alle großen Geister an, die mal in Thüringen komponiert haben?
In vierzig Minuten kann man keinen musikalischen Kosmos entfalten. Auf
jeden Fall kommt Bach zu Gehör, sein "Air" in einer wunderschön jazzigen
Bearbeitung mit Schlagzeug und Bass. Das Ganze ist ja in ein textliches
Geschehen eingebettet, unter der Fragestellung, wo eigentlich in unserer
Landschaft die Musik herkommt: Steigt sie herauf aus den Tälern? Sinkt sie
herab von bewaldeten Bergen gleich dem Abendhauch, sich vermählend mit dem
trauten Geläut der Kirchenglocken? Warum singt der Mensch? Woher empfängt
er seine Melodien? Sein Herz hebt sich empor, alte Worte finden zu Tönen,
loben Sonne, Sterne, Mond, preisen Liebe, Treue, Freundschaft ...
Danke, ich muss hier mal unterbrechen ...
Der erste Teil soll einen Einklang zwischen Musik und Landschaft
herstellen. Dann geht´s in die Geschichte: Dreißigjähriger Krieg und
Barock. Wie kommt es, dass in einer so furchtbaren, jammervollen Zeit, wo
die Hälfte der Bevölkerung ausgerottet war durch Krieg und Krankheit,
gerade der Barockstil entsteht, eine Musik, die jubelnder, brillanter,
funkelnder eigentlich nicht sein kann? Als nächstes mache ich einen
Zeitsprung und erinnere daran, dass Thüringen in der Nazizeit einen
Gauleiter Fritz Saukel hatte, der die Saxophone verboten hat. Thüringen
war das Land ohne Saxophone.
Sie nähern sich dann aber auch der Thüringer Jazzszene von heute?
Der letzte Teil ist speziell auf den Jazz zugeschnitten. Da versuche
ich zu zeigen, was er mir im Herzen bedeutet.
Lässt sich das auch mit Worten sagen?
Bitte sehr: Freiheit den Tönen! Gleichheit den Instrumenten!
Brüderlichkeit den Musikanten! Eine Musik, geboren aus dem Blues der
Sklaverei, aus der Ungleichheit der Hautfarben, aus der Einsamkeit der
Verschleppung. Genährt von den Blue Notes der Baumwollfelder und den
treibenden Synkopen der Häuserschluchten, wuchert eine wilde Pflanze
...
Danke.
... Hypertrophie von entfesselnden Tönen, durch nichts aufzuhalten -
der Klang des 20. Jahrhunderts ...
Danke, vielen Dank! Welchen Jazzstil bevorzugen Sie?
Ich bezeichne mich gar nicht mehr unbedingt und ausschließlich als
Jazzmusiker. Mein Wunsch, Musiker zu werden, hat mit meiner Liebe zum Jazz
begonnen, aber gleichzeitig waren mir die Beatles wichtig, Led Zeppelin,
Uriah Heep, Jimi Hendrix und wie sie alle heißen.
Wenn Sie jetzt noch Jethro Tull nennen ...
Ja, natürlich, unbedingt.
... dann würde ich sagen: Jazzrock.
Genau. Ich habe von jeher versucht, das miteinander zu verbinden und
liebe den Jazz besonders in seinen Auswirkungen auf Europa. Unsere
europäische Musiktradition ist mir heute für meinen persönlichen Stil und
meine Spielweise genauso wichtig wie das, was seit 80 Jahren von Amerika
gekommen ist und uns alle inspiriert hat.
! Jazzmeile-Eröffnung: Sonnabend, 20
Uhr, Volksbad Jena 03.10.2008 Von Frank Quilitzsch |