Erbaulich: Ein Tag im Straßencafé
Pantomime zu Jazz-Piano am Neustadter Arnold-Gymnasium
wurde wieder ein großer Kunstgenuß
NEUSTADT (ski). Zu einer
Kleinkunstbühne umfunktioniert präsentierte sich am Donnerstag
abend die Pausenhalle des Neustadter Arnold-Gymnasiums. Einen Kunstgenuß
ganz besonderer Art kündigte der Hausherr, Oberstudiendirektor Dieter
Funk, den etwa 100 Besuchern an, die gekommen waren, um Pantomime bei Jazz-Piano
zu sehen und zu hören.
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Der Pantomime Harald
Seime aus Jena und Pianist Matthias Hessel aus Berlin gaben am Donnerstag
abend in der Pausenhalle des Arnold-Gymnasiums eine eindrucksvolle Probe
ihres Könnens.
Foto: W.Bretschneider |
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Die weitschweifig angesetzte
Begrüßungsrede fand jedoch ein abruptes Ende, als ein umtriebiger
Techniker, der vorgab, für einen streikenden Kollegen eingesprungen
zu sein und nun den bautechnischen Zustand des Podiums und der Beleuchtungseinrichtungen
prüfen zu müssen, den Redefluß des Oberstudiendirektors
so nachhaltig störte, daß der sich genötigt sah, von der
Bühne abzutreten und sie dem "Streikbrecher" zu überlassen.
Die Unruhe, die im Publikum
aufzukeimen drohte, während Dieter Funk eine geeignete Sitzgelegenheit
suchte, verwandelte sich jedoch in Applaus, als
der Jazz-Pianist Matthias Hessel aus Berlin -Oh- (mit vorgehaltener Hand),
standesgemäß mit Fliege auf weißem Hemd und weinroter
Hose bekleidet, die Bühne betrat.
Unterdessen hantierte das
geschäftige Behelfs-Faktotum, das sich inzwischen den Unmut nicht
nur des Schulleiters, sondern des gesamten Publikums zugezogen hatte, mit
irgendwelchen Schlüsseln am Piano, offenbar in der Absicht, selbiges
aufzuschließen und gebrauchsfähig zu machen, was schließlich
auch gelang, so daß die Vorstellung endlich beginnen konnte.
Für den geneigten Beobachter
nicht ganz überraschend, entpuppte sich der "Aushilfsbedienstete"
als der -neben dem Pianisten Matthias Hessel- „Star des Abends", der Pantomime
Harald Seime von der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, nun aber
von der Kleidung her wenig dezenter, dafür aber in der Gestik umso
dezidierter Kellner eines Straßencafés, mit einem untrüglichen
Blick für weibliche Reiz- und Formgebung.
Als eine etwas überkandidelte
Dame aus besseren Kreisen auf Partnersuche via Zeitungsinserat in der
Zeitschrift Such & Find präsentierte sich Harald Seime denn auch
in der nächsten Szene. Der von ihrer Gunst auserkorene Pianospieler
nahm jedoch, zu ihrem Verdruß, keinerlei Notiz von ihr.
In ihrer Vorstellung sah
dieselbe Dame sich daraufhin zum Opfer eines Raubmordes werden, bei dem
offenbar ihr Herz gestohlen wurde. Zum allgemeinen Amüsement der Zuschauer,
weniger wohl zum Amüsement der Dame, wurde das "Verbrechen"
direkt unter den "gestrengen Augen des Gesetzes" verübt, die zwischen
Pflichtgefühl und mangelnder Kompetenz hin und her gerissen
schienen.
Im Straßencafé
ging man unterdessen zum Alltag über. Der Kellner brachte dem Pianisten,
dessen Spiel die einzelnen Szenen dramaturgisch untermalt hatte, ein "Jungschweinsteak",
das sich als ungenießbarer Affenkopf entpuppte, eine Wertschätzung
ganz besonderer Art.
Just zur "Mittagszeit" sah
der aufdringliche Techniker vom Beginn der Vorstellung sich genötigt
die Bühne aufzuräumen. Ein saftiger Hexenschuß, der ihm
ins Kreuz fuhr, bestrafte den Frevler für seine Unverschämtheit.
Dem Publikum, vielleicht auch dem Oberstudiendirektor Funk, war Genüge
geleistet.
Der Nachmittag im Straßencafé
verlief wie die meisten Nachmittage in vergleichbaren Einrichtungen, bei
Gästen, die dem Alkohole im Übermaß zusprachen und infolgedessen
mehr oder minder gewaltsam entfernt werden mußten. Dafür durfte
der Kellner zum Abend hin wieder in sein ureigenes Element eintauchen,
als er seinen Gästen ein Musikalisches Menü präsentierte.
„Für Kenner und solche,
die es werden wollen“, gab es Ragouts á la Johann Sebastian Bach,
einen Sonatenauflauf nach Ludwig Beethoven und ein Dessert á la
Frederik Chopin.
Zum absoluten Höhepunkt
des Abends im Straßenkafé wurde aber eine zwerchfellerschütternde
Rede gehalten, in der der Vortragende nichtssagende Hundelaute vom Bellen
bis hin zum Winseln von sich gab, was schließlich derart auf sein
Verhalten abfärbte, daß er sich letztlich selbst wie ein Hund
gebärdete. Eine Mahnung vielleicht an unsere Politiker...
„Pantomime und Jazzpiano“
hat Geschmack auf mehr geweckt, mehr Pantomime und mehr Ragtime, mehr Boogie
und mehr Blues aus den 20er Jahren. Andererseits, befriedigende Genüsse
haben „keine Zeit“ und immer gehen sie viel zu schnell zu Ende. |